Neurophysiologische Entwicklungsförderung oder „Warum Ihr Kind Bewegung braucht”

„Geben wir unseren Kindern Wurzeln und Flügel mit! Stärken wir ihre Wurzeln, damit ihnen die Flügel Freude machen und sie auch bei Sturm und Wind im Gleichgewicht bleiben!”
(Dorothea Beigel)

Erklärvideo Entwicklungstherapie

 

Immer auf der Suche nach Antworten für Ursachen von Lern-, Verhaltens- und Entwicklungsstörungen bei Kindern und Jugendlichen wurde ich in einem Seminar zur Lateralitätsentwicklung mit dem Thema der frühkindlichen Reflexe konfrontiert. Das Buch von Dorothea Beigel „Flügel und Wurzeln: Persistierende Restreaktion frühkindlicher Reflexe und ihre Auswirkungen auf Lernen und Verhalten” hatte ich schon vor Jahren gelesen. Im Seminar erschlossen sich mir deren Bedeutung und der eigene Praxisbezug noch viel mehr. Ich las das Buch ein zweites Mal und auch das von Sally Goddard Blythe „Greifen und Be-Greifen: Wie Lernen und Verhalten mit frühkindlichen Reflexen zusammenhängen”. Beim Lesen hatte ich stets das Bild von einigen Kindern aus der eigenen Praxis vor Augen. Kann ich hier die oder eine Ursache gefunden haben, warum die Fortschritte beim Lesen, Schreiben und Rechnen nicht größer waren?

Die Darstellung der Zusammenhänge zwischen frühkindlicher Entwicklung und späteren Lern- und Verhaltensleistungen ist in beiden Büchern sehr überzeugend. Wegen dieses Wissens um die frühkindlichen Reflexe haben für mich seither die vorgeburtliche Zeit, die Geburt an sich und auch die ersten 18 Lebensmonate der Kinder einen neuen Stellenwert in der Anamnese und in den Gesprächen mit den Eltern.

Was hat es nun mit den frühkindlichen Reflexen auf sich?

Jeder Mensch sollte mit ausreichend entwickelten Reflexen seine eigene Geburt tatkräftig unterstützen. Danach sind die Reflexe im höchsten Maße aktiv, um bestens vorbereitet zu sein für die Überlebenssicherung der ersten Wochen und Monate: Der Saugreflex sichert die Ernährung, der Greifreflex unterstützt den Körperkontakt zur Mutter. Alle Reflexe sind unkontrollierbare Bewegungen, die vom Stammhirn ausgelöst werden. Sie dienen aber nicht nur der Sicherung des Überlebens sondern bahnen auch Bewegungen an, die nach erfolgter Reifung des Cortex bewusst und gesteuert ausgeführt werden können. Jeder Reflex hat seine eigene Zeitspanne in den ersten Lebensmonaten, in der er integriert oder gehemmt werden muss. Bleiben frühkindliche Reflexe über ihre bedeutsame Zeit hinaus aktiv, persistieren (verharren) sie also, hat dies entscheidende Auswirkungen auf die Entwicklung des Gleichgewichtssinns, dem eine Schlüsselrolle in der Entwicklung und Erhaltung aller Wahrnehmungssysteme zukommt.

Das Gleichgewichtssystem steht in enger Verbindung zur Tiefenwahrnehmung sowie dem Sehen und Hören, daher hat es Auswirkungen auf viele relevante Bereiche für Lernen und Verhalten (auditive Aufmerksamkeit, Richtungshören, Figur-Grund-Wahrnehmung usw.). Gleichgewichtsprobleme behindern sichere Körpererfahrungen, die die Vorraussetzungen höherer kognitiver Fähigkeiten wie das Lesen, Schreiben, Rechnen und Planen bilden.

Für reflexauffällige Kinder (und Erwachsene) gibt es Hilfe durch speziell ausgebildete Neurophysiologische Entwicklungstherapeuten (www.inpp.de). In einer Reflexausreifungstherapie, in der die Kinder täglich für 10 Minuten spezielle, aufeinander aufbauende Körperübungen gemeinsam mit den Eltern durchführen, reifen die Reflexe aus, um dann endgültig und vollständig kortikal gehemmt zu werden. Eine solche Therapie kann ca. 18 Monate dauern und ist bei Bedarf sinnvoll vor oder parallel zu einer Lerntherapie durchzuführen.


Quellen:

  • Sally Goddard Blythe: Greifen und Begreifen. Wie Lernen und Verhalten mit frühkindlichen Reflexen zusammenhängen. VAK, 7. Auflage, 2007.
  • Dorothea Beigel: Flügel und Wurzeln. Persistierende Restreaktionen frühkindlicher Reflexe und ihre Auswirkungen auf Lernen und Verhalten. Verlag modernes Lernen; 3. Auflage, 2006.

 

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© Elke & Elisa Nettekoven